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„Guten Morgen, Mater Barten,“ trötete die Assistentin als Barten Junior die Verwaltung betrat. Die Assistentin betonte das Wort „Mater“ etwas. Diese förmliche Anrede war eigentlich nicht mehr ganz zeitgemäß aber Sie wusste, dass der Juniorchef Wert auf seinen Titel legte. Der Juniorchef war auch nicht mehr so jung, im Grunde schon eher mittelalt. Und ehrgeizig. Und rücksichtslos. Sie wusste, dass er die kleine Spitze bemerken würde. Am liebsten würde er sie kündigen. Aber sie Stand unter dem Schutz des Senior. Und der Senior würde nicht zurücktreten und sterben auch nicht. Noch nicht.
Im Grunde beides Scheiße-statt-Hirn-Idioten, dachte sie plötzlich. „Warum verschwende ich meine Zeit in dieser Scheißfirma? Bin auf einen Sabberbrocken angewiesen, damit das andere Sabberbrocken mich nicht rauswirft.“
Doch im Grunde wusste sie genau, warum sie ihre Zeit mit dieser Firma verschwendete. Schon ihre Wohnung war so teuer, dass 20 Tage ohne Einkünfte ihr Ende sein würden.
Scheißleben.
Arbeiten, Holos sehen, Schlafen, Essen.
Das war’s. Und zwischendurch mal eine kleine Affäre, von der sie jedes mal hoffte, dass sie zu etwas Besserem führte. Und die doch jedes mal in Langeweile mündete. In blöde Sexnummern, die immer nach dem selben öden Schema abliefen und damit endeten, dass sie sich fragte, ob Holos glotzen nicht besser gewesen wäre. „Wie kriege ich den Blödmann aus meiner Wohnung raus,“ hieß zu oft die wichtigste Frage in ihrem Privatleben. Da half oft nur, die Ration Difusin zu erhöhen.
Zu ihrer Überraschung antwortete der Juniorchef fast gut gelaunt: „Guten Morgen. Wie geht es Ihnen heute?“
Aber noch ehe sie antworten konnte, verschwand er in sein Büro.

Barten legte den Koffer auf den Tisch. Sein Vater würde in der Verwaltung sein. Dort war schon lange alles vorbereitet. Er sah auf den Koffer. Die Lösung seines Problems. Er trat ans Fenster und sah hinaus.
„Scheißaussicht“ murmelte er, „warum stehe ich hier und glotze aus diesem Scheißfenster? Nichts an dieser öden Aussicht ist spannend. Blöde Vorortgegend. Blöder Laborkomplex.“
Noch war es zu früh. Sein Vater musste ihn anrufen. Der Gleiter würde in der Nähe des Hauptgebäudes parken. Er würde alle Hemmnisse beseitigen.
Endlich.
Barten Junior straffte sich und atmete aus. Er musste an seine Assistentin denken und ein leichtes Lächeln huschte über sein Gesicht. Sie würde sicher ganz erschrocken sein. Was der alte Sack an ihr nur fand. Unfähig. Er würde all diese Hindernisse beseitigen. Aufräumen. Von oben nach unten. Zuerst der alte Sack. Korrupt und machtbesessen. Aber was tat er damit? Nur Scheiß. Das lag an seiner gleichzeitigen Sentimentalität. Kranke Mischung. Wo könnte die Firma heute sein?

Draußen war nichts zu sehen. Bloß der Laborkomplex, dessen Dächern noch feucht waren. Aber es hatte aufgehört zu regnen. Das war gut. Bessere Reichweite.
Sein Vater rief an. Wie immer ging es um nichts. Es war im Grunde nur ein Kontrollanruf, mit dem sein Vater ihn überwachen wollte. Barten Junior lächelte in sich hinein. Heute war es umgekehrt. Ein Kontrollanruf war es schon. Er wusste jetzt, dass sein Vater im Büro war.
„Das Opfer ruft an, um zu sagen, dass es jetzt bereit ist“ grinste Barten Junior in sich hinein.
Nachdem sein Vater die Verbindung getrennt hatte, ging er langsam zum Koffer. Es war nicht Zögern, das seine Bewegung verlangsamte, sondern Ruhe und Vorfreude. Keine Hast sollte diese Aktion verderben. Er legte den Koffer vor sich auf den Schreibtisch und ließ die Schlösser aufschnappen. Im Koffer befand sich ein Kontrollsender der Armee. Der Sender war alt und die Armee wusste nicht, dass es ihn gab. Die Batterien waren neu. Barten verband den Sender trotzdem mit dem Stromnetz. Er schloss die Tür ab und bat seine Assistentin in für einige Zeit ungestört arbeiten zu lassen.
„Deine letzte Amtshandlung hier, Schlampe“ dachte er dabei. Eventuell würde er sie nicht sofort kündigen, sondern ein Weile weiterbeschäftigen. Das wäre sicher lustig. Sie würde zweifelsohne nicht von selbst gehen und er könnte sie kriechen lassen.
„Mal sehen, wie weit sie geht. Wenn ich sie etwas ermutige, bietet sie mir eventuell Sex an.“ Er malte sich kurz aus, wie er sie erst zwei- dreimal ordentlich rannehmen und dann trotzdem entlassen würde. Er zuckte mit den Schultern. War wohl kaum der Mühe wert. Bestimmt roch sie nach Fisch. Oder konnte nicht auf Ihre Zähne aufpassen. Genau wie dieses rothaarige Tittenmonster von dem Marketingblödmann. Aber die beiden hatten wirklich zu lustig ausgesehen, als er auf dieser Party seines Vaters locker in kleiner Runde gesagt hatte: „Ihre Frau fickt genau so langweilig, wie Sie aussehen.“ Er hatte sich kaputtgelacht. Das erste mal seit langem, das ihn eine dieser blöden Partys seines Vaters nicht gelangweilt hatte, diese „Empfänge“ wie Barten Senior die offiziell nannte. Naja, die Frau von dem Deppen hatte sich wohl gedacht, sie könnte die Kündigung der Agentur ihres Mannes durch Barten abwenden. Sehr loyal, die Frau.
Barten lachte.
Er hatte dem Idioten natürlich doch gekündigt. Unfähig der Mann. Tat nichts gegen das miese Image der Firma.

Er wickelte die lange Antenne des Senders aus, die aus einem aufgerolltem Draht bestand und spannte sie quer durchs Büro. Langwellen. An sich primitiv. Er hatte schon vor Wochen die beste Ausrichtung ermittelt und sich um Befestigungspunkte gekümmert. Zuerst wollte er einfach Nägel in die alten Möbel seines Vaters schlagen. Das wäre fast symbolisch gewesen aber eventuelle auch verräterisch. Ein vermeidbares Risiko. Ein sehr geringes Risiko aber vermeidbar. Bestimmte Dinge dulden keine Fehler. Er konnte die Drahtantenne auch befestigen, indem er einige schwere Bücher auf die Enden es Drahtes legte. Er kam sich sehr schlau vor, weil er auch solche Kleinigkeiten dachte.
„Wenigstens zu etwas nütze dieser Müll“ dachte er dabei und las den Titel eines der Bücher. Er stellte fest, sich nicht erinnern zu können, das Buch jemals vorher in der Hand gehabt zu haben. Als wenn einer echte gedruckte Bücher bräuchte.
Schließlich hatte er alles arrangiert. Er sah noch einmal die Anordnung an. Alles war gut.
„Nun denn“, sagte er zu sich und betätigte ohne Hast einige Schalter. Der letzte der Schalter löste die Abstrahlung vorbereiteter Daten aus.


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34

Das zuständige Team für Mord in dieser Gegend wurde von einer Frau namens Delek geleitet, die sehr viel Wert auf eine gepflegtes Äusseres legte, deren Lieblingswort aber komischerweise „Dreck“ war.
„So ein Dreck“, stellte sie fest, als sie der Leiche des Managers angesichtig wurde. „Was ist hier abgelaufen. Stimmt das, dass ein paar von Ihren Leuten diese Bude überwacht haben, während der Kerl hier zu Matsch verarbeitet wurde?“ fragte sie den mittlerweile ebenfalls anwesenden Tolomin.
Tolomin dachte, aha, zu Matsch verarbeitet. Echt die abgebrühte total Illusionslose, dabei sieht sie aus wie die Senior-Stewardess aus der First Class einer Hochpreislinie.
Er sagte: „Stimmt, zwei meiner Leute waren da im Gleiter auf der Straße unten.“ Er zögerte etwas und gab dann zu: „Wir haben sogar Mikros hier drin.“
Delek schürzte ihren perfekt geschminkten Mund. „Ach Mikros, ja? Waren die denn überhaupt genehmigt? Aber egal, was macht ihr Jungs von der Wirtschaft eigentlich so, wenn jemand abgemurkst wird? Durchs Mikro belauschen wie sein Hirn zerbraten wird?“
„Ja toll, würgen Sie mir nur einen rein, das wird den Fall bestimmt lösen. Laut Aussagen der zwei hat die Sache, seit sie erste Geräusche in der Wohnung hörten, bis zum Schuss mit dem Ultraschaller keine 20 Microticks gedauert. In der Zeit kann ich nicht mal vernünftig rülpsen. Wir werten das Audiomaterial noch aus. In jedem Fall waren die Jungs keine zwei Ticks später in der Wohnung, aber der Mörder war schon weg. Was sollten die denn machen? Hellsehen? Aber sie haben ja immer Hellseher dabei bei so Überwachungsjobs, wie?“ Tolomin hatte sich etwas in Rage geredet.
„Sehr witzig. Aber was ist mit dieser Frau, die da reinspaziert ist?“
„Ja, Entschuldigung, dass wir nicht jeden festnehmen, der in ein von uns überwachtes Wohnhaus geht. Aber immerhin haben wir wegen unserer Überwachung ein paar nette Bilder. Ist ja auch was, oder? Oder haben Sie immer gleich Bilder vom Mörder?“
Delek sagte: „Dreck. Noch wissen wir ja nicht mal, ob sie die Mörderin ist.“
Der Zuständige von der Spur kam rüber. Er fummelte noch mit der AV Brille rum und sagte: „Also, die Person ist hier mit Nachschlüssel rein, oder ist zumindest Profitüröffner und dann hier hingegangen und hat eine kleinen Ultraschaller an den Kopf des Schlafenden gehalten. Wir konnten bisher keine weiteren Spuren finden. Und wenn welche da waren, haben bestimmt die beiden da“, er zeigte auf Gordon und Seltor, die ziemlich klein in einer Ecke standen, „alles zertrampelt.“
Wie soll die Polizei eigentlich Fälle lösen, wenn sie ständig damit beschäftigt ist, sich gegenseitig fertig zu machen? dachte Tolomin und stöhnte innerlich.
Eine rothaarige Frau aus Deleks Team kam dazu und sagte: „Zeitplanmäßig stimmt alles, soweit wir die Daten haben. Das heißt, die vorläufige Aussage der Beiden, die erste Überprüfung der Audiodaten und der Bericht des Scanners stimmen mit den Daten der Spur über Todeszeitpunkt und so überein.“
Delek sah auf Ihre Fingernägel, die dunkelbraun lackiert waren und murmelte: „Ihre Jungs sind also zumindest sauber, was?“
Tolomin sah sie forschend an. Lieber Himmel. Was dachte die denn? Dass wir unsere Verdächtigen abmurksen, wenn der Fall sich hinzieht? Und dabei mochte ich bisher immer Frauen, die ihr Makeup in Erdtönen halten, ging es ihm durch den Kopf.
Er ging rüber zu Gordon und Seltor und sagte: „Scheiße Jungs. Das will ich aber übergenau im Bericht haben. Alles haarklein, ist das Verstanden?“
In diesem Moment schoben sich zwei Männer in die Wohnung des toten Managers. Sie hatte beide sehr ähnlich aussehende, völlig nichtssagende Anzüge an und trugen recht unauffällige Setfons. Überhaupt sahen sich die beiden ähnlich, sie hatte fast die gleiche Frisur und einen völlig gleichmütigen Gesichtsausdruck. Ein Polizist wollte sie am Betreten der Wohnung hindern, aber sie schoben ihn beiseite.
Delek sah die Beiden und sagte zum Polizisten am Eingang der Wohnung: „Lassen Sie jetzt jeden zu Tatorten durch?“ und zu den beiden Männern: „ Dies ist ein Tatort, nur autorisiertes Polizeipersonal hat zutritt. Verschwinden Sie.“
Einer der beiden sagte: „Wir sind autorisiert.“
Delek sagte: „Eine Dreck sind Sie.“ und ganz allgemein in den Raum: „Schafft sie weg.“
Der Polizist von der Tür machte ein Schritt auf die Beiden zu, aber die Eindringlinge beachteten ihn nicht, sondern näherten sich Delek. Schon fummelten sich ein paar Polizisten an Stellen rum, wo sie wohl ihre Waffen sitzen hatten, in der Tür waren außerdem weitere Polizisten erscheinen, die die Beiden unten nicht hatten abfangen können. Aber die Zwei hatten blitzschnell irgendwoher aus ihren Anzügen große Kanonen gezogen, die mit allerlei Firlefanz wie Schalldämpfer, Laservisier und Zusatzmagazin versehen waren.
Seltor wunderte sich: Wie haben die die Brocken nur unter Ihren Anzügen verstecken können?
Er hatte jetzt auch seine Waffe in der Hand.
Tolomin dachte: Ach du Kacke, jetzt geht das hier los oder was?
Er fummelte seinen kleinen Schocker aus dem Gürtelholster und haderte mit sich selbst: Wenn ich das gewusst hätte, dann hätte ich mir wohl besser einen Raketenwerfer als Dienstwaffe geben lassen. Und ich glaubte, ich bin ja bei der Wirtschaft, wozu braucht man da eine Dienstwaffe?
Einer der beiden Kerle, die nicht im mindesten nervös wirkten, sagte locker: „Bevor wir hier jeden erschießen und dafür noch eine Belobigung kassieren, sollte mal irgendjemand von euch eine Blick auf meinen Ausweis hier werfen.“
Delek, in vorbildlicher Schusshaltung vor den beiden aufgebaut, blickte ziemlich langsam auf den Ausweis, den einer der Beiden in seiner Hand hielt. Mit der anderen Hand hielt er immer noch ganz lässig seine dicke Kanone, die er in keine spezielle Richtung zielen ließ. Tolomin hatte plötzlich so eine Vorahnung. Delek winkte einem Typen von der Spur und der kam langsam näher, in einer Hand seinen kleinen Schocker und in der anderen einen induktiven Leser.
Tolomin schoss es durch den Kopf: Obwohl so um die 20 Waffen auf die Idioten gerichtet sind, stehen die hier rum, als ob sie alles unter Kontrolle haben. Und irgendwie könnte das sogar stimmen.
Der Mann von der Spur las die Daten des Ausweises.
Er sagte: „Recherchedienst.“
Tolomin nickte. Recht gehabt. Er wünschte, er hätte Zeit, schnell seine Rationsdose aus der Tassche zu holen und ein doppelte Nivolex einzuwerfen.
Delek sagte: „Fossmen? Dreck.“
Der Besitzer des Ausweises sagte leichthin: „Dann könnten wir ja jetzt wohl mal die Bewaffnung einstecken, oder?“ machte aber keine Anstalten, seine Firlefanzkanone wegzustecken. Einige Zeit passierte nichts, aber dann nickte Delek und steckte ihren Waffe weg. Tolomin bemerkte dabei, dass sie keinen Schocker sondern eine große Nadelpistole trug. Langsam kramten alle ihre Waffen weg, aber wie durch einen Zufall standen die beiden Fossmen bis zuletzt mit ihren Kanonen da und steckte sie erst irgendwie unter ihre nichtssagenden Anzüge, als alle anderen Ihre Waffen weggepackt hatten.
Tolomin dachte: Wer fragt, führt das Gespräch, war doch so, oder? und sagte: „Was führt euch Geheimleute zu einem stinknormalen Mord?“
Einer der beiden sagte: „Stinknormal? Gewisse Ermittlungen, die wir führen, scheinen sich mit ihren Bemühungen zu überschneiden. Sie waren ja nicht so erfolgreich bisher, wie?“ er blickte dabei auf den Toten.
„Gewisse Ermittlungen? Was denn für Ermittlungen?“ fragte Tolomin und klang dabei, als habe er Schnupfen.
„Wollen Sie damit sagen, Sie wissen nicht, weswegen Sie diesen Mann hier beschatten ließen? Genug geplänkelt, wir hätten gerne alle Unterlagen der Spur.“
Tolomin dachte: Soweit die Tipps unserer Gesprächspsychologen.
Der Mann vom Geheimdienst sah Delek an: „Und von Ihnen – Gnädigste – hätten wir gerne mal alles, was ihre Leute bisher so rausgefunden haben. Geben Sie uns einfach alles, ja? Wir machen uns dann schon selbst ein Bild.“
Delek sah aus, als hätte sie jemand „Süsse“ genannt. Sie fragte: „Und wann?“
Der Geheime sah überrascht aus. „Na sofort. Jetzt.“
Der Anzugmann sah wieder zu Tolomin rüber: „Sagen Sie mal, haben ihre Jungs nicht aus Versehen ein paar Bilder geschossen? Lassen Sie mal sehen.“
Tolomin sah Delek an und wusste, dass sie noch mehr kochte als er. Er sah zu Gordon rüber und nickte ihm zu. Gordon hatte zwischenzeitig im Gleiter ein Papierbild ausgedruckt. Es war trotz der schlechten Lichtverhältnisse recht gut gelungen und zeigte eine ziemlich hübsche Frau im Alter von ca. 30 Dezimonden, vielleicht etwas älter. Sie hatte sehr kurzes blondes Haar und schwarze Augen. Er gab dem Geheimmann das Bild. Er sah drauf. Lange. Er zeigte es seinem Kollegen, der es sich ebenfalls ansah.
Keiner der Beiden verzog eine Miene, aber Delek dachte sofort: „Sie haben die Frau erkannt.“
„Den Holospeicher.“ sagte der Anzugmann und streckte die Hand aus.
„Bitte?“ fragte Gordon.
„ Den Holosspeicher. Wir möchten den Holospeicher.“
„Ja, eh, zum Kopieren oder wie?“ zögernd gab Gordon ihm das Speicherelement der Standbildkamera.
Der Anzugmann vom Recherchedienst steckte ihn ein.
Tolomin sagte: „Was soll dass? Das ist Beweismaterial. Sie können das doch nicht einfach einsacken.“ Aber er wusste die Antwort und da kam sie auch schon: „Klar können wir. Lesen Sie mal nach.“
Scheiße statt Hirn Säcke, dachte Tolomin, aber wusstet ihr auch, dass Standbildkameras von der Polizei Sicherheitskopien in einem zweiten Holspeicher haben? Hä?
Der Geheime sagte gerade: „Und den Ersatzspeicher hätten wir auch gerne.“
Gordon sagte: „Wir haben keinen. Wir hatten keinen eingelegt … äh … wir haben ihn eben erst reingetan, er ist … leer.“
„Klar.“ sagte der Geheime und hielt die Hand hin.
Gordon stammelte: „Ehrlich, wir … äh … er fummelte an der Kamera rum.
Der Anzugmann sah ihn durch dringend an.
Er sagte betont langsam: „Ich … hätte … gerne … den Ersatzspeicher.“
Gordon seufzte, zog den Ersatzspeicher aus der Kamera und gab ihn dem Anzugmann. Der andere der Beiden hatte inzwischen alle Daten der Spur kopiert und auch die PDAs von Deleks Team ausgelesen. Sie verließen die Wohnung, ohne ein weiteres Wort zu sagen und zwar rückwärts, um niemand in der Wohnung zu lange den Rücken zuwenden zu müssen.
Alle standen rum, als habe einer was wirklich peinliches gesagt.
„Dreck.“ stellte Delek fest. „Wir hätten die Idioten einfach umnageln sollen und dann behaupten , wir wären leider erst hinterher zum Lesen ihrer Ausweise gekommen.“ Sie schüttelte den Kopf.
Tolomin murmelte: „Da hat man mal ein Foto von einer Verdächtigen, ein Foto, nur Ticks vor der Tat aufgenommen und dann kommen diese Fossmen-Idioten und konfiszieren den Holospeicher. Wer braucht diese Leute. Wofür sind die gut?“ Er würde in alle Gleiter seines Bereiches irgendwelchen Zusatzkrempel einbauen lassen, der alle Daten gleich per Datenfunk in den Abschnitt funkte. Er kannte sich aber gut genug aus, um zu wissen, dass das ein Bandbreitenproblem war.
Delek sagte: „Haben Sie gesehen? Ich wette, die haben die Frau auf dem Foto erkannt.“
„Ja, toll, nur was hilft mir das.“
„Chef.“ sagte Gordon.
„Jaaa, was denn noch?“ schrie Tolomin gereizt.
„Chef, kleines Zauberkunststückchen zur Aufheiterung?“
Tolomin wollte „Unterstehe dich!“ brüllen, aber da holte Gordon hinter Seltors Ohr einen Holospeicher hervor.
Delek sagte: „Ist das das, was ich denke was es ist?“
„Jo.“ machte Gordon.
Sie verzog ihren Mund zu einem kleinen Grinsen. „Mann, Tolomin, Sie haben da ja auch ein paar lustige Figuren im Programm.“


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37

[
…] Ich wurde wach.
Mein PDA sagte: „Es liegt ein wichtige Nachricht vor.“
Ich rief sie auf. Sie war verschlüsselt gewesen, aber der PDA hatte das schon erledigt.

Sie lautete: „Dag, irgendwas ist Scheiße. Eben rief jemand von den Organisierten an. Sie haben mich gefragt, ob ich in letzter Zeit einen Auftrag an dich vermittelt hätte. Woher wissen die das. Woher wissen die überhaupt, dass ich dich kenne? Was wollen die? Clin“

Clinron. Die Organisierten. Also die Token. Das war nicht gut, denn ich habe mit denen nichts am Hut und wenn die wussten, dass Clinron für mich arbeitet … Ich könnte bei Clinron nach dem Rechten sehen. Klar, das wäre gefährlich, wenn die Token was von mir wollte und dort auf mich wartete. Aber je mehr ich darüber nachdachte, desto mehr ahnte ich, dass Clinron in Gefahr war. Was, wenn diese Jungs da vorbei führen, um ihn mal persönlich zu befragen?
Ich musste hin.

Ich kenne Leute, die geben ihren Waffen Namen. Die nennen ihre Kanone „Kallo“ und ihr Kampfmesser „Liletta“ oder so was. Ich nenne meine Torres Deltoid „Torres Deltoid“. Mein Messer nenne ich „mein Messer“. Die Nadelpistole in Unterarm-Montage und Handflächenauslöser nenne ich … ach nee, das Dingen nenne ich eigentlich immer „das Armband“. Den Ultraschaller nannte ich gar nicht mehr, denn ich hatte ihn beseitigt. Ich zog also eine leichte Schutzweste und das Armband an und packte den ganzen anderen Krempel und noch meine Iso ein. Das dauerte wie immer lange, denn ich lasse mir bei so was Zeit.
Viel Zeit.
Denn ich liebe es, dabei keinen Fehler zu machen, der hinterher etwas tödlich sein könnte.

Die Bar war zu. Das war ein schlechtes Zeichen und schlimmste Befürchtungen kamen in mir auf. Es war Spätnachmittag. Die Bar sollte offen sein. Ich hatte mich dem Haus vorsichtig genähert. Ich sah mich aus sicherer Entfernung um. Nichts. Keine Polizei, keine sonstige Beschattung, nichts. Ich sah mir alles durch ein kleines Fernglas an. Nichts besonderes zu sehen. Ich wartete nochmal etwas. Ich ging etwas näher hin. Dann ging ich auf die gegenüberliegende Straßenseite. Ich machte die Augen zu und hörte. Straßenlärm. Leute gingen, liefen, redeten Unverständliches, Gleiter zischten vorbei, etwas Wind.
Es war keiner da.
Doch, Passanten.
Aber es waren Passanten.
Ich ging zur Bar rüber. Sie war gar nicht zu. Es war nur das Licht aus. Und da hatte ich erstmals das Gefühl, als wenn alles noch viel blöder sein könnte, als es bisher schon war.
Ich hielt mein Armband vor und ging in einer schnellen Bewegung rein und bewegte mich von der Tür weg und wartete. Keinerlei Geräusch im Inneren der Bar, nur von außen drang des Gemurmel der Straße herein. Links lief der Tresen durch den Raum. Es war niemand da. Ich zog meine Zekdor Iso. Das ist ein nettes Teil, weil es im Zweifel alles kaputtbläst, was zufällig in Schußrichtung steht. Weil ich sie grundsätzlich mit Schalldämpfer einsetzte, hatte ich nur ballistische Munition geladen. Denn was nützt ein Schalldämpfer, wenn’s hinterher doch knallt? Außerdem flog einem Explosivmunition auch schon mal in der Kanone um die Ohren. Die Token schoss immer mit Explosivmunition, die liebten das Zeug. Die Iso hat einen zweistufigen drucksensitiven Abzug, der die regulierbare Schussfolge dieser Waffe steuert. Die Bedienung erfordert etwas Übung, denn die Kiste ruckelt schon ganz schön, trotz Rückstoßdämpfung.
Ich ging nach hinten durch. Das Licht im hintern Zimmer brannte.
Clinron saß dort auf dem Fußboden.
Er lehnte an der Wand.
Tisch und Stühle waren in eine Ecke geräumt. Ich ging vorsichtig zu ihm hin.
Er sah nicht zu mir.
Er bewegte sich nicht.
Er war tot.
Sein rechter Arm sah komisch aus, er stand in einem ganz seltsamen Winkel ab. Offenbar hatte man ihm den gebrochen. Seine andere Hand wies diese gekochten Stellen auf, die ich kannte. Auf der Stirn hatte er ein Loch, aus dem etwas Blut kam. Offenbar hatte jemand ihn zuerst befragt und dann erschossen. Ich wettete, dass es die Token gewesen war.
Ich war zu langsam gewesen.
Hatte zu lange an meinen scheiß Ausrüstungsgegenständen gefummelt.
Ich blieb eine Weile sitzen. Clinron hatte nichts zu erzählen gewusst. Er wusste nicht, wo ich wohnte, er hatte nicht mehr als meinen Vornamen, eine paar mal umgelenkte Netz-Adresse und seine Erinnerung an mein Aussehen. Dafür hatten sie ihn umgebracht. Und ich war Schuld, denn ich war zu langsam gewesen. Er war mein bester Kontaktmann gewesen.
Ich stand auf, machte das Licht aus und verließ das Zimmer. Ich setzte mich an den verwaisten Tresen und spielte mit meinem PDA rum. Ich loggte mich ins Netz und sendete Warnungen an meine anderen Kontaktleute. Ich verschob die Kredits für den Job und löste das Konto auf. Ich brach der Reihe nach die Umleitungen meiner Netz-Adresse ab und aktivierte einige Notprogramme, die weitere Spuren vernichten und die Kredits nochmals verschieben würden. Zuletzt aktivierte ich mein Programm „Geburt“, das in den nächsten Tagen automatisch eine neue Identität im Netz etablieren würde. Ich hatte an diesem Haufen an Software sehr lange programmiert und es immer wieder verfeinert. Ich war echt stolz auf mich, denn nun konnte ich mich den dreckigen Dingen widmen und irgendwelche Server im Netz, die kleine Trojaner beherbergten, würden nun in Aktion treten und mich wieder aufbauen.
Ich musste an meinen Meister denken. Ich sah mir durch einen uTOR-Proxy die Seite der Schule an. Die Losung des Tages war: „Ton/Ktau löst dich von dem Zwang zuerst zu sein. Ton/Ktau gibt die Stärke abzuwarten. Die Stärke wegzugehen.“ Selbst durch den quäckenden Piezolautsprecher des PDAs klang die Meditatonsschleife beruhigend.
Nach all der Zeit.

Draußen hielt ein Gleiter.

Ich brauchte drei Microticks oder so, um zu merken:
Draußen hielt ein Gleiter genau vor der Bar.
Auf der anderen Straßenseite offenbar aber dennoch vor der Bar. Ich ging rasch zur Tür und sah durch den Türspion. Auf der anderen Seite der Straße hockte das Ding. Ein Liefergleiter mit dunklen Scheiben. Und mit fünf oder mehr Antennen auf dem Dach. Nichts stand auf dem Gleiter, keine Firmenwerbung oder so. Er war dunkelgrau. Das alles kam mir bekannt vor. Unangenehm bekannt. Da ging auch schon an der Seite eine Schiebetür auf und es sprangen sechs Leute auf die Straße, immer zwei gleichzeitig. Sie winkten mit richtigen „Aller Spielkram drangeschraubt“-Kanonen rum, und sicherten das „Gelände“ sehr professionell. Ein paar Passanten flüchteten.
Sehr weise.
Die Kanonen waren Rapid Dog Maxim mit Schalldämpfer, großem Magazin, Schussfeldbeleuchtung und Laservisier. Die Standartwaffe der Fossmen.
Es war eine Scheiss-Fossmen-Aussengruppe.
Mindestens sechs. Und vermutlich ein Fahrer. Und eine Fernüberwacher.
Mistmistmist.
Die Leute hatten jetzt Stellung bezogen und sahen zur Bar rüber.
Ich bekam einen kurzen Anflug von Panik.
Das konnte kein Zufall sein. Den Fossmen traute ich durchaus zu, über mich und Clinron Bescheid zu wissen. Aber wo hatte ich da nur reingepiekst? Wenn die mich in die Finger bekämen, dann wäre das für mich das Ende, ging es mir durch den Kopf. Die würden mich töten und keiner würde was dagegen haben. Gegen die Fossmen hat nicht mal die Polizei was. Die Geheimleute würden mit ihrem Ausweis winken und es würde nicht den kleinsten Nachruf geben. Die würden glaubhaft versichern, dass es mich nie gegeben hat.
Ich war schon fast verschwunden.
Panik.
Nein.
Kein Panik, sondern Ruhe.
Ruhe ist immer der Schlüssel.
Am Besten, ich knall die einfach alle ab, dachte ich. Nur wie ich das Anstellen sollte, war mir nicht ganz klar. Durch die Tür schießen konnte ich nicht und wenn ich die Tür aufmachen würde, tja.
Der Hinterausgang… führte in ein kleine Gasse links neben der Bar, die genau im besten Blickfeld der Fossmen-Leute auf die Straße führte.
Aus dem Wagen kamen noch zwei Kerle, die irgendwas Großes in Anschlag brachten. Granatwerfer oder was? dachte ich, aber ehe ich richtig hinsehen konnte, merkte ich, dass die damit die Tür öffnen wollten und zwar jeden Moment. Ich lief panisch nach hinten, und kaum war ich wieder bei meinem toten Kontaktmann, da gab’s vorne einen gar nicht mal so lauten Knall, eine heiße Druckwelle durchfuhr den Raum und irgendwas wurde durch die Gegend geschleudert.
Manchmal ist Panik doch in Ordnung.
Das letzte Licht des Abends viel herein. Ich bewegte mich schnell in die Bar zurück, denn das Hinterzimmer bot keinerlei Deckung. Kaum war ich hinter dem Tresen weggetaucht, da rollte das Fossmen-Kommando in Bilderbuchmanier in den Raum, so mit gestaffelter Schusshöhe, Raumabdeckung und all dem Zeug. Ich dachte mir, wenn die sich erst mal im Raum etabliert haben, dann ist es zu spät. Ich stand auf und sprühte mit dem Armband und der Iso Projektile durch die Gegend, was die Magazine hergaben. Ich bewegte die Arme dabei von außen nach innen, bis sie sich in der Mitte berührten. Das sirrende, zischende Geräusch der Nadelpistole vermischte sich mit dem stakkatoartigen Husten der gedämpften Zekdor Iso, ein Geräusch, dass mich immer irgendwie an eine Spielzeugpistole erinnert, so zurückhaltend ist es.
Vier vielen gleich um. Die Iso schlug richtige Löcher in die Kerle und auch in alles was sonst noch in der Schussrichtung lag. Die kinetische Energie der Projektile ist groß genug, um den Körpern richtige kleine Stöße zu versetzten und die Leute zuckten daher zuerst noch so komisch in der Wolke der zersplitternden Einrichtung, obwohl sie schon tot waren. Die Nadelpistole durchschlägt nicht, denn die Nadeln haben dafür eine zu kleine Masse. Sie trennt mehr auf, plötzlich taucht am Körper des Opfers eine Perforationslinie auf und oft reißt es da auch auf, wie das mit Perforationslinien nun mal so ist. Diese Leute haben aber noch ein paar Microticks zu leben und einer brachte es daher noch fertig, mit seiner Maxim nach mir zu schießen.
Er verfehlte mich.
Aber zwei Leute des Fossmen Teams waren noch da. Einer hatte sich auf den Boden werfen können und einer war auf die Straße zurück gehechtet. Hinter dem Tresen liegend überlegte ich. Viel Zeit blieb mir nicht. Mit den Kerlen, die die Tür geöffnet hatten, waren noch vier Leute aktionsfähig. Mit dem Fahrer des Gleiters fünf und in fünf bis höchstens zehn Ticks würde es hier eine Fossmeninvasion geben, denn irgendjemand hört das Desaster ja über Funk mit oder die Fernüberwachung würde kreischen.
Ich sah auf die Munitionsanzeigen. Die Iso war halb leer. Das Armband hatte noch etwas mehr, würde aber weniger helfen. Ich hatte natürlich Ersatzmagazine dabei und auch noch meine Deltoid.
Ich überlegte, wenn ich ganz nach hinten in die Ecke des Tresens kroch, mehr zum Hinterzimmer hin, dann hätte ich das beste Schussfeld auf die Türöffnung und sogar auf die Straße. Die Kerle, die reinkommen wollten, müssten ins Dunkle sehen.
Aber der Kerl am Boden konnte auch denken und deshalb tat ich das Gegenteil. Ich kroch an die Stirnwand und glücklicherweise lagen keine Sachen am Boden rum, die Geräusche beim Drauftreten machten.
Ich stand jetzt neben der Türöffnung hinter dem Tresen. Wenn sie genau jetzt reingekommen wären, dann wären das nicht so doll gewesen, denn der Winkel zwischen dem Typen am Boden, der bestimmt weiter in den Raum gerobbt war und den Eintretenden wäre doch recht groß gewesen. Und mit beiden Armen einen Raum eindecken, in dem Ahnungslose stehen, ist ein Ding, aber mit jedem Arm in eine unterschiedliche Richtung zielen und auch treffen, das klappt vielleicht in so Unterhaltungsvideos, aber ich kann das nicht.
Also schnell. Ich erhob mich und suchte den Raum ab. Und richtig, der Kerl hatte sich bis zum Hinterzimmer vorgearbeitet und zielte auf die Ecke, wo ich zuerst hin wollte. Er sah mich im Augenwinkel und drehte sich, aber ich hatte ihm schon ziemlich viele Nadeln verpasst, bevor er in meine Richtung schießen konnte. Ich ging noch gerade rechtzeitig in Deckung, als über mir alles in Späne zerfiel.
Wenn sie clever sind, dachte ich, dann kommen sie jetzt rein, denn durch das Geballere werde ich unten gehalten.
Ich kroch hinter dem Tresen von der Tür weg und auch von der Stelle, wo der Sterbende hin schoss und sich die Einrichtung in Krümel auflöste. Der Mann schaffte es, mindestens zehnmal zu feuern, bevor er endlich umviel. Kaum hörte das Feuer auf, da sprang einer der Verbleibenden über die Reste des Tresens und feuerte wie wild dahin, wo er dachte, dass ich sein könnte. Ich war aber schon weiter gekrochen und schoss solange auf ihn, bis das Armband alle war. Er klatschte einfach auf den Boden.
Ich wechselte das Magazin des Armbandes, da krachte es hinter mir und heiße Luft schob mich über den Boden und von der Wand hinter mir fehlte eine ganze Menge. Die Iso viel mir hin, denn irgendetwas hatte meinen linken Arm getroffen. Ich versuchte die Waffe wieder aufzuheben, aber der Arm war taub. Dran war er noch, sah ich, aber Blut lief an ihm runter und tropfte von den Fingern. Noch drei und der Fahrer. Ich hob die Iso mit der anderen Hand auf und fand mich ganz intelligent, weil ich schon immer beidhändig Schießen geübt hatte. Eigentlich fand ich mich dann aber doch wieder nicht so intelligent, sondern fing mit so Gebeten an: „Ihr lieben Leute von den Fossmen, geht doch einfach und lasst mich leben, ja? Wär das nix?“
War nix, wie ich an den Geräuschen hinter dem Tresen merkte, denn die bewegten sich keineswegs in Richtung Tür. Wenn ich hier bleibe, dachte ich, ist es gleich vorbei. Dann schießen sie den Tresen und alles was dahinter ist einfach in Schutt und Asche. Hinter dem Tresen war kein guter Platz mehr. Ich sprang auf und hechtete über das Ding und rollte mich ab und sofort ging das Geballere los. Zwei feuerten, einer legte dieses dicke Ding auf mich an und ich zersiebte ihn und das Ding im Laufen, was mehr ein Rumgestolpere war; ich hielt den Finger einfach am Abzug und fuchtelte mit der Iso in die ungefähre Richtung, wo die anderen waren, traf sie aber nicht, aber sie konnten auch nicht richtig zielen, weil sich auch bewegen mussten, denn sonst hätte ich sie gleich erschossen.
Dann war die Iso leer und ich ließ sie einfach fallen und drückte auf den Auslöser des Armbandes, ich traf Einen kurz, aber er bewegte sich noch und schoss weiter. Der Andere hatte keine Munition mehr und warf sein Rapid Dog weg und zog von hinten seine Ersatzwaffe, irgendwas kleines und ich traf den Ersten nochmal und er knickte in den Knien ein und fiel auf’s Gesicht, als der Andere mich mit seiner Ersatzwaffe mitten auf die Rippen traf.

Die Schutzweste hielt das kleine Kaliber, aber der Schmerz kam trotzdem. Ich traf ihn noch mit ein paar Nadeln, dann war das Armband leer und er stand noch. Aber zu schießen hatte er aufgehört. Ich lief auf ihn zu, er brachte die kleine Waffe wieder hoch, ich trat ihn mit einem gedrehten Sprungtritt und er stolperte nach hinten. Fiel aber immer noch nicht um.

Viel konnte ich auch nicht mehr.

Ein Arm war taub und im Brustkorb machte sich der Schmerz des Treffers breit, kroch in alle Glieder und fing an zu stören. Der Mann wollte mir eine verpassen, aber ich konnte meinen Oberkörper zurücknehmen und landete zugleich einen Schnapptritt in seine Familienplanungsanlage, er ging vorne runter, ich trat ihn unters Kinn, dass es krachte, er flog nach hinten und viel um.
Ich lief in den Raum zurück durch all den Müll, den das Gefecht aus der Innenarchitektur produziert hatte und sammelte die leere Iso ein. Ich lud sie nach, was mit zwei Händen auch irgendwie leichter gewesen wäre, und ging vorsichtig seitlich zur Tür. Oder was von ihr übrig war. Der Fahrer näherte sich langsam in perfektester Schusshaltung der Tür. Kein Problem. Er hatte mich noch nicht gesehen, denn in der Bar war es dunkel. Er fing aber einfach so auf Verdacht an zu feuern und ich merkte, wie ein Streifschuss mir Teile der Kleidung und des Panzers wegfetzte. Hoffentlich nicht mehr, dachte ich hektisch, denn ich wusste, einen richtigen Treffer merkt man zuerst gar nicht und dann ist man plötzlich tot.
Ich lief zurück in die Bar und dort zum Notausgang. Ich öffnete ihn, glitt durch und zog die Tür hinter mir zu. Ich lief die Gasse bis zur Straße, wobei sich so ein komisches Gefühl an meiner Seite breit machte. Ich sah ganz vorsichtig um die Ecke und sah den Fahrer soeben die Bar betreten. Ich ließ die Iso los und fummelte die Deltoid raus, was einarmig nicht sehr schnell ging. Doch dann hatte ich die kleine Plasmawaffe draußen. Ich zielte auf den Gleiter und entließ die ganzen zwei Microticks Plasmastrahl, die in der Deltoid stecken, mit diesem komischen Zischen auf den Gleiter. Der Plasmastrahl ging durch die Aussenhaut des Gleiters wie durch Weichkäse. Dann gab es im Inneren komische Geräusche, so eine Art Krächzen und es fiel ein Prallfeld-Generator aus. Das Ding schurgelte mit der Nase auf die Straße, denn diese Fossmen Leute hatte die Kiste nicht abgesenkt, sondern auf den Feldern stehen lassen. Vielleicht, damit sie schneller abhauen könnten. Hinten trat der Strahl aus dem Gleiter wieder aus und verglaste die Wand eines Hauses. dann war die Deltoid leer. Ich packte sie ein, hob die Iso auf und entfernte mich von der Bar. Ich ging ganz langsam seitlich weg und hielt die Iso immer auf den Eingang der Bar gerichtet. In der Ferne hörte ich Polizeisirenen.
Nach einer Zeit, die mir sehr lang vorkam, war ich schon recht weit weg, aber die Polizei kam hörbar schnell näher. Ich kam zu einer anderen Gasse, von der ich nicht wusste, wo sie hinführte. Egal, ich lief in sie hinein. Oder besser: ich humpelte in sie hinein. Meine ganze rechte Seite tat von der Hüfte an nach unten weh, wo der Fahrer mir einen Streifschuss verpasst hatte. Das Blut an einem Arm war getrocknet: wenigstens keine Spur hinter mir. Der ganze Oberkörper schmerzte vom Treffer des kleinen Kalibers. Der rechte Arm, denn ich noch benutzen konnte, jagte mir bei jeder Bewegung Stromstöße durch den Oberkörper. Die Polizei war sehr nahe. Ich drückte mich in den Schatten an der Hauswand und sah am Ende der Gasse drei Gleiter in Polizeifarben mit Sirene vorbeizischen und einen weiteren Grauen mit Antennen. Sie sahen mich nicht. Ich humpelte weiter und erreichte eine Straße, die parallel zur Straße verlief, wo die Bar gewesen war. Die Bar, deren Einrichtung jetzt nur noch ein Haufen verkohlter Trümmer war. Ich sah mich um. Niemand zu sehen. Ich fummelte die Iso einarmig in den Rucksack. Inzwischen tat mir alles weh. Ich humpelte auf die Straße und kam zu einer Kreuzung. Ich bog ab. Als ich mich von der Kreuzung etwas entfernt hatte, tauchten hinter mir massenhaft Polizeigleiter auf und sperrten die Kreuzung ab.
Ich versuchte, so normal zu gehen, wie ich konnte und nicht aus lauter Panik zu rennen. Ich sah mich auch nicht um. Um mich zu beschäftigen, legte ich die Atemmaske an, denn die Invertwetterlage drückte wieder den ganzen Mist runter.

Und ich kam davon.

Zuhause angekommen, lehnte ich mich an die Wohnungstür, als ich sie endlich hinter mir zu hatte. In die Wohnung zu kommen, hatte länger als der eigentliche Rückweg gedauert, denn ich lungerte erst noch in der Gegend rum, um festzustellen, ob sie von meiner Wohnung wussten und mich abfangen würden. Ich befragte den PDA, ob die Sensoren in der Wohnung angeschlagen hätten. Nichts. Ich kontrollierte die Mikros, die ich in den Nachbarwohnungen installiert hatte. Aber alles war normal gewesen und ich hatte die Wohnung als noch sicher eingestuft. Kaum drin, löste ich alle Verbindungen zur Person, die die Wohnung gemietet hatte auf und lenkte alle Datenströme auf die neue Identität um, die meine Trojaner bauen würden. Ich aktivierte alle Alarmsysteme, sowohl die physikalischen, als auch die virtuellen. Ich aktivierte Agenten, die Daten löschen würden, wenn ich mich nicht mehr melden würde. Das dauerte alles unendlich lang, denn mein PDA wurde in meiner Hand immer schwerer und wog am Ende so viel wie mein ganzer Rucksack. Und der Rucksack wog soviel wie ein Gleiter. Er zog mich zu Boden und ich konnte nicht mehr aufstehen und schlief einfach ein.

Oder genauer: ich verlor das Bewusstsein.